
Bildrecht: Thore Rehbach
Kennen Sie das auch? Eigentlich müsste ich mich um ein wichtiges Projekt kümmern, sei es beruflich oder privat. Aber das Thema ist so umfangreich, so komplex – und vielleicht könnte ich mit meinen Entscheidungen andere vor den Kopf stoßen. Also schiebe ich es vor mir her. Ich hoffe darauf, dass sich die Dinge von selbst lösen oder dass jemand anderes die Verantwortung übernimmt. Aber die Erfahrung zeigt: Probleme gedeihen auf Ignoranz wie auf dem besten Nährboden. Sie wachsen, werden größer und immer schwieriger zu bewältigen.
Der demografische Wandel: Ein aufgeschobenes Problem
Der demografische Wandel ist ein Paradebeispiel für ein solches aufgeschobenes Problem. Es ist doch keine neue Erkenntnis, dass unsere Gesellschaft immer älter wird. Wir, die Baby Boomer (ich bin 58), wissen seit Jahrzehnten, dass unsere Generation das Sozialsystem massiv fordern wird, sobald wir ins Rentenalter eintreten. Wir wissen, dass der Fachkräftemangel in der Pflege und die geringe Wertschätzung für diesen Beruf dramatische Folgen haben. Und trotzdem haben wir kaum Vorsorge getroffen (meine Erfahrung als Pflegeberater in einem Berliner Pflegestützpunk) – weder individuell noch als Gesellschaft.
Vor ein paar Monaten sprach noch Gesundheitsminister Karl Lauterbach von „explodierenden Zahlen“: Statt der erwarteten 50.000 neuen Pflegefälle 2023 waren es 360.000. Waren diese Zahlen überraschend? Sicher nicht. Experten wie Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und einer der Wirtschaftsweisen, haben immer wieder auf die Problematik hingewiesen. Es ist, als hätten wir all die Warnungen überhört, in der Hoffnung, dass es schon irgendwie gutgehen wird.
Die Herausforderungen in der Pflege
Aber das wird es nicht. Die Herausforderungen in der Pflege sind real und drängend. Heute leben 5,6 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland und die Kosten der Pflegeversicherung steigen kontinuierlich. Es sind Fragen, die mich beunruhigen: Wie möchte ich später selbst gepflegt werden? Wer wird überhaupt in der Lage sein, mich zu pflegen? Woher sollen die finanziellen Mittel kommen, um Pflege zu finanzieren? Und vor allem: Wie wollen wir sicherstellen, dass die absehbar von pflegebedürftigkeit Betroffenen und die jüngere Generation gemeinsam Möglichkeiten und Lösungen finden?
Ich habe das Gefühl, dass unsere Generation zu oft daraufsetzt, dass die Politik, die Anderen oder wer auch immer diese Probleme lösen werden. Wir alle wissen: Reformen brauchen Zeit, und ohne unser aktives Zutun wird es nicht gehen. Wir brauchen eine tiefgreifende Pflegereform. Wir sollten Strukturen ändern und flexibler gestalten. Wir müssen offen für Innovationen sein – sei es durch die Integration von Technologien oder durch Modelle wie in den Niederlanden, wo ambulante Pflegedienste effizient nach Stadtvierteln organisiert sind. Und ja, wir müssen auch mehr Verantwortung übernehmen, sowohl durch Eigeninitiative als auch durch politische Entscheidungen, die Mut erfordern.
Prävention und Haltung
Ein Blick nach Japan zeigt, dass es auch anders geht. Dort sind die Menschen länger aktiv, achten mehr auf ihre Gesundheit und setzen auf Prävention. Das ist eine Haltung, die wir übernehmen sollten. Warum warten, bis wir gezwungen sind zu handeln? Warum nicht jetzt anfangen, die Weichen zu stellen – für uns selbst und für die Generationen nach uns?

Bildrecht: Thore Rehbach
Verantwortung übernehmen: Privat und politisch
Ich sehe klar, dass Wegsehen keine Option mehr ist. Wir müssen Verantwortung übernehmen, privat wie politisch! Pflege ist nicht nur ein Problem der Politik, sondern ein gesellschaftliches. Es liegt an uns, das Thema endlich ernst zu nehmen! Denn eins steht fest: Wir werden nicht jünger. Und die Probleme, die wir heute aufschieben, werden uns morgen umso heftiger treffen.
Abschließend bleibt zu sagen: Der Reisemaulwurf e. V. steht für mehr als nur Urlaub – er steht für eine Vision. Eine Vision, in der Pflege nicht mehr nur Belastung bedeutet, sondern in der Fürsorge und Entlastung Hand in Hand gehen. Wir glauben daran, dass jeder Mensch, ob pflegebedürftig oder pflegend, ein Recht auf Erholung und Lebensqualität hat. Durch unsere Plattform schaffen wir nicht nur Angebote, sondern auch Hoffnung. Hoffnung auf Momente des Durchatmens, auf Wertschätzung und auf einen Wandel im Umgang mit Pflege in unserer Gesellschaft. Gemeinsam können wir Pflege menschlicher gestalten – Schritt für Schritt, Tag für Tag.
Danke an dieser Stelle allen Vereins- und Fördermitgliedern, Netzwerkpartnern und Multiplikatoren, Unterstützern, Spendern und Fördermittelgebern.
Ihr
André Scholz